Kapitel 1
„Bormaaaannnnnssskki“, schallt es den Gang herunter. Ich hasse es nur mit dem Nachnamen gerufen zu werden, das ist weder persönlich noch höflich. Mit 45 Jahren bin ich einfach zu alt für so einen Scheiß, natürlich gibt es Hierarchien hier bei der Kriminal Polizei, aber von meinem 36-jährigen vorgesetzten Bürokraten muss ich mir diese Unhöflichkeit nicht gefallen lassen. Aufgewachsen am Rande des Ruhrgebiets haben mich meine Eltern und das Ruhrgebiet großgezogen. Das Ruhrgebiet zum einen durch seinen interkulturellen Hintergrund, zum anderen dadurch das Aufwachsen hier ähnlich hart ist, wie der Stahl, für den wir berühmt waren. Man sucht sich in der Kindheit Vorbilder und da war Schimanski, Bergarbeiter und Herbert Grönemeyer, mit seinen Hymnen genau, richtig für mich. Und so habe ich auch viele Charaktereigenschaften entwickelt, die meines Erachtens typisch für die Kumpel unserer Region sind.
Ich habe einen Dickkopf, der nur noch vom Umfang meines Bauches übertroffen wird. Ich bin 100% ehrlich und habe noch nie gelogen, dabei muss ich leicht schmunzeln. Ich bin sehr gradlinig und gehe immer den aus meiner Sicht richtigen Weg, egal wie schwer der auch sein mag. Und wenn ein Weg zu leicht ist, dann ist es vermutlich auch nicht der Richtige.
„Bormaannnssskiii“ höre ich es jetzt schon aus weniger Entfernung. Ich grinse in mich rein und lehne mich entspannt zurück. Soll der Affe doch ruhig den ganzen Weg gehen. „Bormanski, wie laut soll ich denn noch schreien?“ sagt Harald Henrich Schmidt, der Büro Hengst, der mein Vorgesetzter ist. Harry, so wie ich ihn gerne rufe, was er natürlich gar nicht mag, ist eigentlich ein anständiger Kerl. 32 Jahre Jung, steile Karriere, jemanden dem vieles in den Schoß fällt. Leider will Harry sich aber ständig beweisen und zeigen, wer der Boss ist, da ist er bei mir natürlich an der ganz falschen Adresse. „Ich habe Sie gar nicht gehört Boss“, antworte ich verschmitzt. Er funkelt mich böse an, denn natürlich durchblickt er sofort das wir wieder ein Autoritätsspiel spielen. „Wir haben einen Toten in Gevelsberg im alten städtischen Krankenhaus“ führt Harry aus. Mir ist sofort klar, dass dies kein dankbarer Fall sein kann, denn ansonsten kriege ich immer nur die Scheiß Fälle. Vermutlich hat jemand einen Herzinfarkt bekommen, denke ich in mich herein. „Da ist im alten Gewölbe eine ziemliche Schweinerei passiert“ führt Harry weiter aus. Jetzt werde ich doch neugierig, denn das ist normalerweise nicht die Art Fälle, die wir hier im Ennepe-Ruhr-Kreis haben und erst recht kein Fall den ein ungeschliffener Grobian, so muss ich wohl auf andere wirken, wie ich bekomme. Irgendwo muss hier doch ein Haken sein denke ich. Nehmen sie Frau Groß mit sagt Harry noch grinsend beim Rausgehen. „Das kann doch nicht ihr Ernst sein Boss“, rufe ich ihm hinterher. „Die ist grün hinter den Ohren und dazu auch noch nervig wie ein Besuch beim Zahnarzt“ füge ich an. Eine Antwort bekomme ich nicht mehr, aber ich bin mir sicher, dass es ihm eine wahre Freude ist. Diesmal geht die Runde an ihn denke ich verbittert.
Ich schnappe mir meine Lederjacke und die Autoschlüssel vom schicken Dienstwagen, einem alten abgenutztem Passat, und mache mich auf dem Weg ins Büro der Anfänger. Da sitzt Angelika Groß, die aus meiner Sicht größte Nervensäge des Kriminalamtes. Sie hat immer gute Laune, allein das ist doch nicht normal. Hinzu ist sie extrem wissbegierig und fragt mich wegen jedem Scheiß Löcher in den Bauch. Ich will doch einfach nur meine Ruhe und meinen Job ohne großen Stress machen. „Angie, schnapp dir deine Jacke, wir haben einen Einsatz“ sage ich ihr kurz angebunden. Ich weiß das Sie das Angie vor den Kollegen nervt, aber nachdem mich schon Harry Rund gemacht hat, muss ich zeigen, wer hier der Ranghöhere ist. Wenn sie genervt ist, dann zeigt sie es allerdings nicht. Ein kurzes „Auf geht’s, Bormanski“ und ein breites Grinsen nachschiebend geht sie zu ihrer Jacke. Verdammt wie hasse ich solche Tage wo man einfach immer den Kürzeren zieht. Ich schmeiße ihr den Schlüssel rüber und wir gehen zur Tiefgarage und fahren los.
Auf der Fahrt grübelte ich über den Tatort nach. Das Gevelsberger Krankenhaus war vor einigen Jahren Tagen in der Westfalenpost, unserer lokalen Tageszeitung. Heutzutage ist im Großteil des ehemaligen Krankenhauses die Fliedener Klinik untergebracht, welches eine psychiatrisch-psychotherapeutische Tagesklinik mit einer Psychiatrischen Institutsambulanz ist. Ursprünglich wurde das ehemalige Krankenhaus aber im Jahr 1886 bereits gegründet und wurde bis 1919 durch die evangelische Kirchengemeinde geleitet. Im Jahr 1919 übernahm dann die Stadt die Trägerschaft. Schließlich wurde das Krankenhaus im Jahr 1976 Teil des Zweckverbands Ennepe-Ruhr bis es dann am 30. September 1997 endgültig geschlossen wurde. Ich hatte gelesen das es keine Unterlagen mehr aus dem Krankenhaus gibt, vieles ist wohl beim Zusammenschluss in den 80er verloren gegangen. Letztens wurde ein altes Laborbuch gefunden und die örtlichen Historiker haben sie sehr darüber gefreut. Also alles in allen ein Haus mit viel Vergangenheit und wenig Informationen und nun mit einem Todesfall der eine große „Sauerei“ beinhaltet.
Ich war wirklich mies drauf. Zum einen lief mein Leben nicht gerade in geordneten Bahnen, viele Frauengeschichten, aber nie was Verbindliches. Dazu kriegte ich einfach mein Leben nicht in den Griff. Wohnung sauber halten, Rechnungen bezahlen und all der andere administrative Scheiß, der machte mir einfach keinen Spaß. Und ich war Großmeister im Verdrängen … so schlängelte ich mich durch mein Leben und wurde im Laufe der Jahre immer griesgrämiger. Ach quatsch wiedersprach ich mir selber, die Freiheit ist doch das was du immer gewollt hast und jetzt hör auf zu jammern. Was mir wirklich den Tag versaute ist die Aussicht eine Leiche zu sehen. Mit dem Tod konnte ich einfach nicht umgehen, ich weiß auch nicht was mich damals geritten hat diesen Job anzunehmen. Im kleinen Ennepe-Ruhr-Kreis passierte in der Tat auch nicht viel Spannendes und in meinen 25 Dienstjahren kann ich die Begegnung mit dem Tod an einer Hand abzählen. Verdammt ich kann nicht mal eine tote Maus entsorgen, die Elmo mein roter Kater leider regelmäßig nach Hause brachte. Bei Angie durfte ich mir aber keinesfalls eine Blöße geben, ansonsten werde ich zum Gespött der Kollegen. Je näher wir dem Krankenhaus kamen um so mehr musste ich der Wahrheit aber ins Auge blicken und das grummelige Gefühl in der Magengegend wurde immer schlimmer.
Wir fuhren in die Südfeldstraße ein und fuhren rechts an der Klinik vorbei. Adrett steht die Klinik heutzutage dar, mit frischem gelbem Anstrich und modernen Fenstern. Man kann aber die Historie des Gebäudes nicht von der Hand weisen. Der Eingang hat eine gewaltige Überdachung, gestützt von 4 Säulen auf der linken und 4 Säulen auf der rechten Seite. 11 Stufen geleiten den geneigten Gast zu einem doppeltürigen Eingang. Interessant finde ich das die ersten 3 Stufen sich in der Schräge der Straße verlieren. Ich, als ordnungsliebender Chaot, stört die fehlende Symmetrie, aber allen anderen ist das offensichtlich völlig egal … wieder muss ich in mich hinein grinsen. Aber sofort meldet sich der nervöse Magen mit der anschwellenden Angst zurück. Wir haben Glück und finden einen Parkplatz direkt neben dem Eingang. Also auf in den Kampf, denke ich.
Angie geht zielstrebig auf den Eingang zu, ich würde mir lieber noch Zeit lassen, aber so ist es jetzt nun mal. Hinter dem Eingang ist direkt die Rezeption, also ziehe ich mit vollem Elan meinen Dienstausweis und sage inbrünstig „Steve Bormanski, Mordkommission! Wo finde ich den Tatort?“. Frau Müller, so stand es auf ihrem Namensschild, die Frau am Empfang zuckt zusammen, im ganzen Flur plötzlich Ruhe und mir wird einmal mehr klar, dass ich erst hätte Nachdenken sollen, bevor ich die Patienten hier Unruhe bringen. Mir wird schlagartig klar, dass sich das wie ein Lauffeuer verbreiten wird. Ein Blick in das Gesicht von Frau Müller bestätigt mir, dass wir keine Freunde mehr werden. Am meisten kotzt mich aber das Grinsen von Angie an, wie gesagt hatte ich schon bessere Tage.
Patzig gibt mir Frau Müller zu verstehen das ich ihr Folgen soll. Am Ende des Flurs ist ein Treppenhaus und hinter einer abgeschlossenen Gittertür führt sie uns in den Keller. Hier ändert sich das Erscheinungsbild des Krankenhauses schlagartig. Zum einen riecht man sofort den Unterschied, den es riecht feucht und modrig schon bevor wir den Keller schon ganz erreicht haben. Durch die Schräge der Straße ist der Keller auf der linken Seite fast überirdisch, dummerweise gehen wir aber nach rechts wo es noch nie Tageslicht gegeben hat. Dieser Gang erinnert mich an einen Stollen aus dem Bergbau, für den das Ruhrgebiet ja so berühmt war. Da dieser Teil schon für sich viel Unbehagen auslöst scheint es hier noch im Originalzustand der 30er Jahre zu sein. Frau Müller erklärt kurz: „Dieser Teil des Krankenhauses wurde im zweiten Weltkrieg aktiv benutzt, da er relativ sicher vor Bomben war. Der Tatort befindet sich im alten Bunkertrakt der 2 Operationssäle und etwa 20 Zimmer beinhaltet. Hier unten war schon seit vielen Jahren kein Mensch mehr. Der Hausmeister hat die Leiche gefunden, als er ein Leck in einer Wasserleitung gesucht hatte. Von hier aus müssen Sie alleine weiter gehen, mich bringen keine zehn Pferde runter.“ Sie drehte sich auf dem Absatz um und ließ uns vor einer offenen Bunkertür stehen.
Jetzt war mir nicht nur mulmig, jetzt hatte ich pure Angst. Mein Magen rumorte und ich ließ dummerweise einen fahren. Das Grinsen von Angie wurde zu einem offenen Lachen. „Komm schon Alter Mann! Soll ich dich an die Hand nehmen oder schaffst du das allein?“. Wäre ich doch bloß im Bett liegen geblieben heute Morgen. Wir gingen die ersten Stufen runter und uns stieg der süßlich beißende Geruch des Todes in die Nase. Ich blickte zu Angie und konnte auch bei ihr jetzt keine Freude mehr finden. Die Treppe umfasste 17 Stufen und wir kamen am Ende an einer weiteren Eisentür an. Die Tür stand offen und dahinter befand sich ein Gang, der sich im Viereck um die zwei mittigen Operationssäle wandte. An der Außenseite des Ganges befanden sich pro Seite jeweils 5 Patientenzimmer, sowie ein Schwester Zimmer und einige Abstellräume. Das ganze Erscheinungsbild erinnerte mich an die Zweckmäßigkeit der Medizin in den 30er Jahren. Der Boden und die Wände waren gefliest, so dass man Blut und anderen Körperflüssigkeiten leicht beseitigen konnte. Ich vermute vor fast 100 Jahren und vor allem in Kriegszeiten konnte man die Hygiene der heutigen Zeit nur schwerlich sicherstellen. Auch ohne Leiche wäre diese Kulisse schon eine 1A Lösung für jeden Horror Film. Angie kam mit jedem Schritt etwas näher an mich herangerückt. Das wiederum malte mir ein Lächeln auf das Gesicht. „Gehst du doch rechts- und ich linksrum? Dann finden wir die Leiche schneller!“ sagte ich mit einem süffisanten Lächeln im Gesicht. Aus Angies Gesicht verlor sich jegliche Farbe und ich konnte nicht anders als Laut loslachen. Mein Lachen hallte durch den Flur und machte die ganze Situation noch skurriler. „Kleiner Spaß, Angie! Das riecht doch ein Geruchsblinder das die Leiche in einem der beiden Operationssäle sein muss“, fügte ich nach kurzer Pause hinzu.
Ich nahm all meinen wiederaufkeimenden Mut zusammen und marschierte auf den rechten der beiden Säle zu und nach kurzer Zeit sah ich die Leiche. Angie schleichte hinter mir her, sah die Leiche, drehte sich blitzschnell um und kotzte in den Flur. Jetzt hatte sie mein Mitleid gewonnen, denn das ist in der Tat ganz hart Kost. Jetzt musste ich Stärke zeigen, die eigentlich gar nicht mehr in mir steckte. Langsam ging ich weiter in den OP hinein. Hier schien die Zeit stehen geblieben zu sein. Über dem Operationstisch hing eine alter OP-Lampe. Gehäuse aus weißem Stahl, Diffusor aus Glas und der Reflektor aus Quecksilberglas. Im Saal war ein kleiner Arzttisch, einige alte Regale mit vergilbten Materialien und in der Mitte der OP-Tisch. Auf dem OP-Tisch lag die Leiche. Mit jedem Schritt den ich auf die Leiche zuging wurde mir übler, der Geruch war nicht mehr zu ertragen.
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Vor-Vorwort
Vor-Vorwort Lieber Leser, wir befinden uns gerade in der Vorweihnachtlichen Zeit des Jahres 2024, genauer gesagt am 14.12.2024. Vor wenigen Monaten entstand die Idee einen Krimi zu schreiben und heute…
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Kapitel 1 – Abschnitt 2
Aber das, was ich dort sah, das brachte mich komplett aus der Fassung. Einen kurzen Moment starrte ich nur auf die über zugerichtete Leiche. Es mögen 3 bis 4 Sekunden…
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Kapitel 1 – Abschnitt 1
Kapitel 1 „Bormaaaannnnnssskki“, schallt es den Gang herunter. Ich hasse es nur mit dem Nachnamen gerufen zu werden, das ist weder persönlich noch höflich. Mit 45 Jahren bin ich einfach…